Weihnachtskizze von Erich Murawski, Stettin

Aus: Heimatkalender für den Kreis Pyritz 1933

Lütt-Fieken, gedrungen, flachshaarig und pausbäckig, klapperte mit dem ganzen Übermut ihrer 7 Jahre auf ihren Holzpantinen aus der Dorfschule heimwärts, indes der winterliche Seewind ihr den grauen Wollschal immer wieder um die Ohren schlug, den Großmutting der ungeberdigen Kleinen jeden Morgen umzwang.

Die Augen tränten etwas in dem scharfen Ost, der Backen und Nase glühen und blühen ließ, aber in diesen Kinderaugen barg sich heute eine große Neuigkeit, denn zum ersten Male in ihrem Leben hatte die kleine Deern vom Lehrer beim heutigen Schulschluss vor Weihnachten die ewig schöne Weihnachtsgeschichte von der Gnadengeburt des Herrn vernommen. Und nun trappelte Lütt-Fieken ungeduldig heimwärts, um ihre neue Weisheit bei den alten Großeltern anzubringen, denn Vater und Mutter waren schon lange tot.

Der Wind jaulte und sprang bald hier, bald dort um eine Hausecke dem Kind spielerisch entgegen. Die See rauschte und sang vom Strand herauf. Durch die dunkelgrünen Kiefernpelze ringsum das Fischerdorf fuhr von Zeit zu Zeit ein demütiges Beben. Und einen tief herabhängenden, grau buschiger Wolkendrache hatte sich bereits seit vielen Tagen am Himmel eingenistet und all das schöne Blau gierig in sich gefressen.

Kaum daheim angekommen, haspelte Lütt-Fieken vor den beiden, sich erstaunt gebenden Alten mit wichtiger Miene die neue alte Mär heraus.”Unn”, fügte sie hinzu, “unn denn hätt de Lehrer seggt, wenn de Kinners all orig bliewen, dunn war de leiw Herrgott up de hillige Nacht den groten Winachtsboom rutsetten mit veel dusend lütte Lüchten an’n Heben!” Und in gläubiger Erwartung strahlten schon jetzt ihre großen blauen Augensterne.

Doch bis dahin war noch einige Tage Zeit, und es hielt manchmal schwer, den guten Vorsatz zum bravbleiben in der ungebundenen Ferienfreude aufrechtzuerhalten. Aber Fieken wollte doch gar zu gern in der Weihenacht den prächtigen Wunderbaum des Herrn am Himmel sehen und führte sich demzufolge musterhaft, half auch Großmutting, wo sie nur konnte.

Lütt Fieken
Lütt Fieken
Heimatkalender Pyritz 1933

Draußen schüttete indes Frau Holle ihre Betten aus, dass die weißen Schneedaunen in dichten Schwärmen herniederwirbelten und ein matter grauer Widerschein in die dunklen Stuben hereindämmerte. Die kleinen Fischerhäuser zogen sich schnell große weiße Schneekapuzen tief über die Ohren und blinzelte dann aus zusammengekniffenen Fensteraugen in die frühe, stockdunkle Winternacht. Manch ungeduldiger Kinderblick suchte schon heute vergebens in der unendlichen Finsternis nach einem Zipfelchen von Gottes Wunder.

Dann aber erschien am Tage des Christabends die Sonne in ihrem schönsten Strahlen-Festkleide am tiefblauen Himmel, den ihr der geschäftige Ost vorher glasklar gefegt hatte. Ein klingender Frost ließ den frischen Schnee aufknirschen und verglaste alle Pfützen, dass man nach Herzenslust schliddern konnte. Am Spätnachmittag aber stieg durch gelb und orange, rot und violett blühende Abendschleier die heilige Nacht majestätisch auf die erwartungsvolle Erde hernieder und verhängte allenthalben die Fenster mit neumonddunklen Tüchern.
Das ist das Zeichen zum Anstimmen der lieben Weihnachtslieder ringsum und zum Anzünden an der großen und kleinen Christbäume in den Häusern und Herzen der Menschen. So steht auch Lütt-Fieken mit andächtig gefalteten Händen vor dem kleinen Wunder in der Großeltern Katen und stottert unter Schauern ihr Weihnachtsgebet.

Alsbald aber jubeln die Festglocken und lockt die feierlich rauschende See, und in des Kindes gläubiger Seele schießt blendend der Gedanke auf an Gottes gewaltigen Weihnachtsbaum. “Kumm, Großvattin, kumm fixing vor de Dör!”

Lütt Fieken
Lütt Fieken
Heimatkalender Pyritz 1933

Sie treten aus ihrer lichtdurchflossenen kleinen Welt vor die gigantische Unendlichkeit und stehen überwältigt auf den krustigen Schneeteppich der Düne. Soweit das Auge reicht breitet sich über den schwarz blauen Sammet des Nachthimmels der funkelnde Glanz von tausend und abertausend glitzernden Himmelslichtern, von der blitzenden Krone zu Häupten bis zu den tief herabhängenden Zweigen, die noch fern am dunklen Horizont in die Flut des unbewegten Meeres tauchen. In silbernem Flimmern sprüht und lodert es bläulich, rötlich und grünlich und Gottes Atem scheint mit leisem Knistern durch all die schimmernden Leuchten zu streichen. Davor verstummt der Lärm der Welt, und eine feierliche Stille grüßt in Demut die Welt umfassende Allmacht.

Lütt-Fieken erstarrt mit wundertrinkenden Augen, die rechte Hand fest in Großvaters rissige Seemannsfaust verkrampft, den linken Zeigefinger vor Aufregung im Munde. Und dann sprudelt es heraus :
“Kiek doch es, Größing, kiek doch man blot! Uns leiwe, leiwe Herrgott is und alltohop so gaud un hett sin aller-, allergrötsten Boom anbött, wat Großvatting?”
Und dann, ganz verloren im trunkenen Anblick, ganz voll Inbrunst, jauchzt es: “Jung, wat sünd wi orig west!”