von Martina Riesener

Dieser Artikel erschien in der Pommerschen Zeitung vom 23. Januar 2016

Ein verbindendes Hobby

Martina Riesener
Martina Riesener

1958 geboren, faszinierten mich schon als Kind die lebhaften Erzählungen und Erinnerungen der älteren Familienmitglieder. Besonders die meines aus Hinterpommern stammenden Großvaters beeindruckten mich, sodass ich bereits damals eine kleine Ahnentafel abschrieb. Natürlich ahnte ich noch nicht, wie wichtig diese später einmal für meine Familienforschung sein würde. Besagte Abschrift begleitete mich wohlverwahrt, dabei nie vergessen, durch die nächsten Jahrzehnte meines Lebens. Schulzeit, Studium, Beruf, Familiengründung und -leben ließen allerdings keine Zeit zu weiteren Forschungen. So wurde mir erst kurz vor dem Tode meines Vaters im Jahr 2002 bewusst, wie wenig mir doch im Grunde über meine Vorfahren und somit der meiner Kinder bekannt war. Ich begann mit den ersten Recherchen, bei denen sich die bereits erwähnten Notizen als ein wertvoller Grundstock erwiesen.

Das erste Problem zeigte sich recht schnell, denn zwischenzeitlich waren leider fast alle Zeitzeugen, die mich zu Kinderzeiten noch mit interessanten Geschichten und Berichten aus alten Zeiten und über ihre eigenen Eltern, Großeltern und andere Verwandte förmlich überschütteten, verstorben. Auch alte Dokumente waren in meinem Familienteil bedauerlicherweise kaum vorhanden. Meine neu erwachte Begeisterung wurde durch diese Probleme allerdings nicht gebremst, sondern eher noch verstärkt. Ich begann umgehend mit den ersten Befragungen zum Thema Familienforschung in der mengenmäßig doch sehr überschaubaren Verwandtschaft. Zu meiner Freude und großen Überraschung tauchten nun doch noch einige alte Familienunterlagen, Fotos und auch Briefe in den mir fremden Schubladen auf, und ich lernte sogar einige, mir bisher unbekannte, entfernt verwandte Familienmitglieder kennen.

Mittlerweile mit etlichen neuen Daten und Namen bestückt, forderte ich Personenstandurkunden aus verschiedensten Standesämtern an, recherchierte intensiv in Kirchenbüchern, bereiste Pfarr- und Kirchenarchive und war regelmäßiger Gast einer genealogischen Forschungsstelle der Mormonen – der Kreis der Vorfahren erweiterte sich stetig. Inzwischen verfügte ich über einen mit zahlreichen amtlichen und kirchlichen Dokumenten gut gefüllten Aktenordner, daneben hatte sich natürlich auch recht schnell eine beträchtliche Menge familiengeschichtlicher Fachliteratur angesammelt. Mittels verschiedenster Quellen konnte ich belegen, dass die Vorfahren also aus Niedersachsen, Schleswig-Holstein, Ober- und Niederschlesien, Posen, Rheinland-Pfalz, Nordrhein-Westfalen, Sachsen-Anhalt und aus dem Kreis Kolberg-Körlin in Hinterpommern stammten. Insbesondere die letztgenannte Region stellte mich dabei vor zwar nicht unerwartete, aber doch besondere Herausforderungen.

Familienforschung im Kreis Kolberg-Körlin

Persante
Persante zwischen
Zwilipp und Bartin , Foto M.Riesener

Der im hinterpommerschen Kreis Kolberg-Körlin suchende Familienforscher stößt, oftmals bereits zu Beginn seiner dortigen Recherchen, auf schwer zu überwindende Hindernisse. Dies wurde auch mir recht schnell bewusst. Kirchenbücher und Standesamtsregister gelten, von wenigen Ausnahmen abgesehen, als verschollen oder vernichtet. Zu befragende Familienmitglieder lebten ja, wie bereits erwähnt, nicht mehr. Dank einiger großväterlicher Unterlagen waren mir zwar die Namen, Lebensdaten und der Familienherkunftsort seiner Eltern und Großeltern – Zwilipp im Kreis Kolberg-Körlin – bekannt, aber damit erschöpfte sich mein genealogisches Wissen an dieser Stelle auch bereits. Leider hatte ich auch keine, von einer unverheirateten Großtante abgesehen, weiteren Geschwister meines Großvaters kennengelernt. Durch Krieg und Vertreibung waren deren Lebenswege getrennt worden und die Kontakte gezwungenermaßen auf Briefwechsel minimiert.

Ich versuchte mich zu erinnern – Großvater hatte doch immer von zehn Geschwistern erzählt, die im Winter vom Hausdach problemlos in den tiefen Schnee rutschten. Er sprach von Dorffesten, vom Bad in der Persante, unendlich großen Äckern und langen Baumalleen, die die Orte miteinander verbanden, vom pommerschen Himmel, der rauen Ostsee und natürlich den Gestüten, denn er war ein exzellenter Reiter. Blieb nur das Internet als Suchansatz. Bereits die ersten Recherchen ergaben, dass neben mir zahlreiche weitere pommersche Familienforscher vor den gleichen Problemen standen und sich bereits in verschiedenen Vereinen und Gemeinschaften gefunden hatten. So wurde ich zunächst Mitglied in der Mailing-Liste des Kreises Kolberg-Körlin.

 

Kirche in Zwilipp, Świelubie Kościół filialny, Bild von adzia über http://www.turystykakulturowa.eu/?id=place&nr=68&txt=9

Zwilipp

Auch andere Forscher suchten in diesem Ort nach ihren Wurzeln und auch bei mir stellten sich rasch erste Erfolge ein. Durch einen regen Austausch erweiterten sich meine pommerschen Vorfahrengenerationen beständig. Immer mehr dörfliche Verflechtungen wurden offensichtlich. Auch wenn nicht immer ein Verwandtschaftsgrad zwischen uns Forschenden besteht, so wurden doch zumindest zahlreiche Verschwägerungen über Generationen hinweg ersichtlich. All diese Erkenntnisse ergaben sich ohne die Möglichkeit zur Einsichtnahme in Kirchenbücher und Standesamtsregister, und die Spannung wuchs.

Zwilipp,
Zwilipp, Postkarte im Besitz von Joachim Kummrow

Und immer wieder wurde ein Name mit Zwilipp in Verbindung gebracht:  Ferdinand Asmus. Von 1890 bis zu seiner Pensionierung 1924 war er Lehrer an der Zwilipper Dorfschule, hatte in eine ortsansässige Bauernfamilie eingeheiratet und war als pommerscher Heimat- und Familienforscher bekannt. Seine zahlreichen Familienchroniken, die er zu etlichen, zumeist Zwilipper Bauernfamilien verfasste, galten allerdings – wie sollte es auch anders sein – ebenfalls als verschollen. Auch dies spornte mich natürlich an.

2007 fand ich dann mehrere dieser Chroniken mit Ablage im Staatsarchiv Leipzig. Nun wurden endlich aus bisher einzelnen Familiensträngen komplette, miteinander verflochtene Familiengenerationsfolgen. Viele interessante Schilderungen zu einzelnen Personen, deren Lebensumständen sowie Angaben zu Geburten, Hochzeiten, Todesfällen aus den nun nicht mehr vorhandenen Zwilipper Kirchenbüchern, zu denen Asmus damals noch Zugang hatte, brachten zumindest in Teilen ein verloren geglaubtes, genealogisches Wissen zurück. Begeistert versank ich in die Vergangenheit der Zwilipper Bewohner. Recht schnell stellte sich die Frage, ob es mittels Kombination aller vorhandenen Unterlagen aus den einzelnen Zwilipper Familien, den diversen Asmus Genealogien und anderen Ressourcen nicht möglich sein könnte, ein Ortsfamilienbuch zu erstellen bzw. zu rekonstruieren.

Ortsfamilienbuch und Chronik Zwilipp
Ortsfamilienbuch und Chronik Zwilipp

Ende 2009 wurde diese Überlegung zu einem Projekt. Im Auftrag und mit tatkräftiger Unterstützung der Ansprechpartner für den Kreis Kolberg-Körlin, Ernst Schroeder und dem leider inzwischen verstorbenen Uwe Witte, begannen mein ebenfalls mit Zwilipp verbundener Forscherkollege Lothar Mademann und ich mit der Realisierung. In den kommenden Jahren setzten wir uns mit zahlreichen Nachkommen der Zwilipper Familien in Deutschland, aber auch mit den Nachfahren der Auswanderer in den verschiedensten Kontinenten in Verbindung. Zu unserer Freude gab man uns bereitwillig in Telefonaten, Briefen und Mails Auskünfte zu den Vorfahren, es wurde in Erinnerungen gekramt, und wir wurden mit Dokumenten und Familienbildern versorgt,. Das „Zwilipper Bild“ rundete sich mehr und mehr. Viele neue Kontakte wurden geknüpft und bestehen bis heute.

Familienforschung vor Ort

Im Herbst 2010 reiste ich erstmals nach Kolberg, besuchte neben Zwilipp weitere Dörfer des Kreises und recherchierte vor Ort im Staatsarchiv Köslin. Dies wiederholte ich 2013 und freue mich schon jetzt auf meinen nächsten Besuch in Hinterpommern. Neben meiner Begeisterung für diese wunderbare Region empfinde ich gerade dort eine besondere Verbundenheit zu meinem Großvater, aber auch zu „meinen Zwilippern“, den Menschen, die dort über Jahrhunderte hinweg geboren wurden, lebten, arbeiteten und starben – eben jenen Menschen, über die ich in den letzten Jahren so vieles erfahren durfte. 2014 wurde das Buch „Zwilipp, Rittergut Pustar – Ortsfamilienbuch mit Chronik“ veröffentlicht. Mittlerweile arbeiten wir, wiederum gemeinsam und mit wertvoller Unterstützung vieler Kolberg-Körliner Familienforscher, an einem Ergänzungsband zu den Orten Bartin und Lustebuhr, die ebenfalls dem Kirchspiel Zwilipp zugehörig waren.

Dank der Kooperation mit unseren polnischen Partnern erweitert sich nunmehr auch die Quellenlage zur Familienforschung in Hinterpommern mit wiederum neuen Forschungsmöglichkeiten. Zudem bietet der neustrukturierte Verein „Kolberger Lande“ die Möglichkeit, eigene Forschungsergebnisse einer breiteren Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen. So wurde dessen Internetpräsenz www.kolberg-koerlin.de komplett überarbeitet und um eine Datenbank ergänzt, die erste Personendaten zur allgemeinen Recherche zur Verfügung stellt und diesbezüglich stetig erweitert wird. Rückblickend betrachtet ist die pommersche Familienforschung, auch nicht zuletzt aufgrund der intensiven freundschaftlichen Zusammenarbeit mit unzähligen Forschern, zu meinem großen Hobby geworden. Es war spannend, es ist spannend und es wird spannend bleiben!

Und abschließend sei in eigener Sache erwähnt – ich suche noch immer die von Ferdinand Asmus erstellte „Dorfchronik Zwilipp“. Wer von den Lesern könnte hier helfen?

 

Die Verfasserin: Martina Riesener
Wohnhaft in Friedberg/Hessen, Beruf: Oecotrophologin. Mitgliedschaft: Pommerscher Greif e.V. (Beisitzerin im Vorstand),  Arbeitsgemeinschaft ostdeutscher Familienforscher e.V. (AGoFF), Westdeutsche Gesellschaft für Familienkunde e. V. (WGfF). Mitarbeit im Arbeitskreis Kolberger Lande, Mitarbeit bei der Indexierung des Standesamts-Registers für den Pommerschen Greif. Verfasserin des Ortsfamilienbuches ZWILIPP gemeinsam mit Lothar Mademann.