In der Wolfenbütteler Digitalen Bibliothek (WDB) findet man seit kurzem die Leichenpredigt auf Petrus HOYER aus Kolberg: http://diglib.hab.de/drucke/lpr-stolb-12680/start.htm

Leichenprdigt Petrus Hoyer
Leichenpredigt Petrus Hoyer

Er verstarb am 27. Mai 1665 in Leipzig, wohin der hoffnungsfrohe Jüngling im Alter von 14 Jahren und 7 Monaten seinen Vater zur dortigen Messe begleitet hatte. Geboren wurde er am 4. September 1650 in Kolberg/Hinterpommern, wo sein Vater Engelbert Hoyer als Kaufmann, Seidenhändler und „Sültzverwandter“ (d.h. Inhaber einer Stätte zum Sieden und zur Erzeugung von Salz) tätig war; seine Mutter war Anna, geb. Spandow.

Leichenpredigten müssen nicht zwangsläufig adligen Familien vorbehalten gewesen sein. Dieses Beispiel zeigt sehr deutlich, dass auch Familienmitglieder des gehobenen Bürgertums mit einer gedruckten Leichenpredigt gewürdigt werden konnten – ungedruckte Leichenpredigten hat es in einer noch deutlich größeren Zahl gegeben, wie man gelegentlich ausführlichen Kirchenbüchern des 17. oder 18. Jahrhunderts entnehmen kann.

Diese gedruckte Leichenpredigt ist es wert sich näher mit ihr – und damit auch mit der literarischen Gattung – auseinanderzusetzen. Als klare Topoi sind die Hinweise auf den christlichen Lebenswandel des Verstorbenen anzusehen; auch die zahlreichen Bibel-Zitate sind eher dazu angetan, die sprachliche Gewandtheit des Predigers zu belegen. Für den Familienforscher sind die „Personalia“ im zweiten Teil der Leichenpredigt von Interesse. Hieraus erfahren wir einiges aus dem Leben des Verstorbenen, aber auch die Namen und Berufe seiner Vorfahren, die in diesem Fall bis zu seinem in Herford/Westfalen ansässig gewesenen Urgroßvater Engelbert Hoyer zurückreichen. Das sind Informationen, die uns bis weit in die Zeit vor Beginn der Kirchenbücher zurückführen können.

Ergänzen wir die neu gewonnenen Angaben mit jenen aus den bekannten Kolberger Quellen dieser Zeit, so erfahren wir aus dem Taufbuch 1633-1676 (hier gibt es eine komplette Transkription des Buches) der St.-Marien-Gemeinde, daß der kleine Petrus am 8. September 1650 im Kolberger St.-Marien-Dom getauft wurde; aus dieser Quelle kannten wir bislang nur den Namen seines Vaters, nicht jedoch dessen Beruf oder den Namen seiner Ehefrau. Weiters wissen wir aus dem Taufbuch, dass im Mai 1645 ein erstes Kind von Engelbert Hoyer getauft wurde. Trotz des Fehlens der Kolberger Kämmerer-Register für die Jahrgänge 1644 und 1645 (Staatsarchiv Stettin, Akta Miasta Kolobrzegu) können wir daher mit einiger Wahrscheinlichkeit annehmen, dass der westfälische Zuwanderer Engelbert Hoyer im Jahre 1644 nach Kolberg kam, dort das Bürgerrecht erwarb und auch heiratete. Da die Sterbebücher von St. Marien erst 1708 beginnen, können wir aufgrund der Kirchenbuch-Überlieferung nicht sagen, wann er verstorben ist. Aber auch hier hilft uns eine Leichenpredigt – diesmal jene auf ihn selbst. Hiervon befindet sich unter der Signatur 6953,23 ein Exemplar im Kommunalarchiv Minden, auf das uns der „Gesamtkatalog deutschsprachiger Leichenpredigten“ (GESA) der „Forschungsstelle für Personalschriften an der Philipps-Universität Marburg“ hinweist.

Die Leichenpredigt auf Engelbert Hoyer ist zwar leider noch nicht digital verfügbar, aber auf der Homepage des Kommunalarchivs Minden heißt es

„Wenig später konnte das Stadtarchiv im Dezember 1961 eine vom Regierungsbaurat Dubois erstellte alphabetische Namenskartei erwerben. Diese enthält alle etwa 30.000 in der Mindener Leichenpredigtensammlung genannten Personen und stellt damit praktisch eine vollständige Auswertung dieser Sammlung dar. Diese Namenskartei ist bei FamilySearch™ als Sammlung “Deutschland, Westfalen, Minden, Verzeichnis der Leichenpredigten 1580-1740” online verfügbar.“ Unter den Buchstaben „H-K“ findet man ab Scan 2710 die Angaben über die Personen, die in der Leichenpredigt auf den 1680 verstorbenen Vater von Petrus, den Kaufmann Engelbert Hoyer, vorkommen.

Herford
Herford von
Matthäus Merian d.Ä.(1593–1650) in der Topographia Westphaliae
1647 Public domain via Wikimedia Commons

Er wurde am 22. Aug. 1619 in Herford geboren und verstarb in Kolberg am 17. Juni 1680. Mit drei Ehefrauen (Heiratsdaten und deren Namen werden genannt) hatte er insgesamt 15 Kinder, von denen bei seinem Tod einer (Engelbert) kurfürstlich brandenburgischer hinterpommerscher Hofgerichtsadvokat, einer (Franz) Kaufmann in Kolberg, einer (Johann) Kaufmann in Amsterdam, einer (Christian) Kaufmann in Hamburg und einer (Jacob) noch Student war. Vor dem Hintergrund, daß auch Engelberts Vorfahren, die bis zu seinen Ururgroßeltern aufgezählt werden, respektable Personen des öffentlichen Lebens waren, erschließt sich uns auch, wieso auf den 1665 jung verstorbenen Sohn eines Bürgerlichen eine Leichenpredigt verfaßt wurde. Die Hoyers waren eine wohlhabende und angesehene Familie des öffentlichen Lebens mit einem weit über Kolberg hinausgehenden Wirkungskreis.

Dr. Stefan Sienell