aus: “Sie wußten die Feste zu feiern”
Klaus Granzow, Leer, 1982

Die gegenseitigen Verwandtenbesuche während der Weihnachtstage waren auf dem Lande sehr be­liebt. Doch da die Verwandtschaft meistens sehr umfangreich war, hatte man Mühe, die Reihen­folge festzulegen. Man einigte sich dann so, daß auf den Stammhöfen, wo noch die Großeltern lebten, der erste Weihnachtstag gefeiert wurde. Der zweite Weihnachtstag war dann für die El­tern der Bauersfrau reserviert und am dritten Weihnachtstag ging oder fuhr man zu den Onkel und Tanten, wo viele Kinder waren und es immer am lustigsten zuging.

Kein Wunder, daß bei uns zu Hause immer der dritte Weihnachtstag Besuchstag war. Da kamen die reichen Albrechts-Bauern aus Schwolow in prächtigen Kutschen vorgefahren, da erschienen die Verwandten aus dem Dorf und fast alle meine vierundvierzig Cousins und Cousinen. Was war das für ein Leben dann in Haus und Hof. Natür­lich mußte jedes Kind vor dem geschmückten Weihnachtsbaum ein Gedicht aufsagen und durf­te sich dann eine Kleinigkeit — oftmals nur einen Zuckerkranz — von den Tannenzweigen herun­ternehmen.

So sehr wir auch den brennenden Lichterbaum bewunderten, ein viel heimeliger Glanz ging von den dunkelroten Christrosen aus, die in den Fenstern standen. Fleißige Frauenhände hatten sie selbst gebastelt. Aus grünem und rotem Seiden­papier waren die Blätter geformt, mit Strickna­deln zu Blüten gerollt. Dann wurden die roten und grünen Blätter kunstvoll an ein Weinglas ge­klebt und in das Glas eine kleine Kerze, ein soge­nanntes Hindenburglicht, gestellt. Das brennen­de Licht hinter den dunkelroten Seidenblättern verbreitete eine ganz trauliche, adventlich-weih­nachtliche Atmosphäre.

Diese Sitte, pommersche Christrosen zur Heili­gen Nacht aufzustellen, hat sich erhalten und ist inzwischen in ganz Deutschland ein beliebter Brauch geworden. Das habe ich bei vielen Ad­vents- und Weihnachtsfeiern, von Flensburg bis ins Allgäu und von Aachen bis Berlin erfahren.

Deshalb soll hier zum Abschluß auch erzählt werden, wie diese Sitte, eine Christrose zum Weihnachtsfest zu basteln und aufzustellen, nach Pommern gekommen ist:

Legende: Wie die Christrosen nach Pommern kamen

In den Jahren 1124 und 1128 reiste der Bischof Otto von Bamberg, der Apostel der Pommern, nach Stettin und an die Ostsee, um die widerspen­stigen Pommern zum Christentum zu bekehren. Doch immer wieder flackerte der heidnische Glaube an „Swantewit” und andere Götzen auf, und mancher bekehrte Christ mußte seine Glau­benstreue mit dem Leben bezahlen.

In einer kleinen pommerschen Stadt wohnte da­mals ein alter Mann, der heimlich, aber im festen Glauben an der christlichen Lehre hing. Doch böse Nachbarn verrieten ihn an die heidnischen Priester, der Alte wurde gefangen und zum Tode verurteilt.

Es war jedoch gerade der Heilige Abend, als der Götzen-Prediger den alten Mann in den Kerker warf und ihm hohnlachend zurief, wenn über Nacht in der bittersten Kälte Blumen erblühen würden, dann sollte er begnadigt werden und dann würde sogar die ganze Stadt den neuen Glauben annehmen. Der alte Mann verbrachte die ganze Nacht mit inbrünstigem Beten — und als am anderen Morgen die Sonne aufging und der Alte zum Richtplatz geführt wurde, standen unter der Eiche, unter der die Christen gehängt wurden, viele Blumen, die über Nacht erblüht waren: es waren rote Christrosen.


Man sagt, daß ein seltener Vogel, der Kreuz­schnabel, die Samen der Christrose aus dem Süden mit nach Pommern gebracht habe, denn der Kreuzschnabel nistet und brütet um die Weihnachtszeit. Als das an der Richtstätte wei­lende Volk die vielen blühenden Blumen sah, schwor es dem Götzen-Prediger ab und verjagte ihn. Der alte Mann wurde befreit und die Pom­mern nahmen die christliche Lehre, die Otto von Bamberg ihnen brachte, gern und willig an.

Seit dieser Zeit vor über 850 Jahren blühen in Pommern die Christrosen mitten im Winter, und wenn sie nicht erblühen wollen, bastelt man wel­che aus Seidenpapier, um sie am Heiligen Abend vor die Fenster und in die Stuben zu stellen.

 

2 Gedanken zu “Pommersche Christrosen”

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